INDIA: Wieder Daheim – Und jetzt?

Nun ist schon Mitte August und ich bin bereits seit zwei Wochen wieder heil zurück in Deutschland angekommen.

Nach einem schweren, schlaflosen Abschied aus Kasturbagram, überpackter Zugfahrt von Indore nach Ahmedabad und schließlich Übergewichtproblemen am Ankunftsflughafen, an dem alles begann, war ich erst einmal heilfroh, endlich im Flugzeug zu sitzen. Aufgrund von Übernächtigung, Aufregung oder falschem Essen wurde diese dann dummerweise fast noch der krönende Abschluss und als ich mit den drei anderen KURVE-Freiwilligen nachts in unserem zweitägigen Zwischenstop Dubai ankam, wollte ich einfach nur noch heim. Allerdings hatten wir unsere Flüge extra erst für den darauffolgenden Tag buchen lassen und über Couchsurfing eine Unterkunft für die Nacht organisiert.

Dubai

Nach dem oftmals undurchschaubaren Verkehrsmenschenkuhchaos Indiens, seinen – doch zugegebenermaßen nicht immer sauberen Straßen – und dem so gar nicht auf Materielles fokussierte Leben, war es für mich wohl der Kulturschock schlechthin, nach Dubai zu kommen.

Wer schon mal da war, kann dies bestimmt verstehen.

Wer noch nie da war, dem kann ich sagen, dass es wohl die künstlichste, aufgesetzte und unverständlichste Stadt ist, die ich je gesehen habe. Überall leuchtet, strahlt und glitzert es, Besitzer von dreckigen Autos werden bestraft und lange Zeit haben wir auf den Straßen überhaupt keinen Menschen gesehen.

Unsere „Gastfamilie“ dort war super nett – er selbst ursprünglich aus Rajasthan, dem Wüstenbundesland Indiens, sie Europäerin mit Wurzeln in Italien und Bosnien. Mit unserem Host (Gastgeber) sind wir nach einer dringend nötigen Mittagspause mit dem Auto in die Stadt gefahren, sodass wir wenigstens einen kleinen Eindruck von Dubai gewinnen konnten, waren am Meer, haben das mit 828m höchste Gebäude der Welt, den Burj Khalifa, gesehen und eine legendäre Springbrunnenshow zu Michael Jacksons „Thriller“ hautnah miterlebt.

Es war toll, einen sauberen Strand zu betreten, ohne große Bedenken die Füße ins Wasser halten zu können, es war schön, sich in geregeltem Verkehr zu befinden, in dem an roten Ampeln auch tatsächlich angehalten wird und es war angenehm, nicht von allen Menschen um sich herum angestarrt zu werden.

Gleichzeitig vermisste ich aber schon schnell das Chaos, die Kühe und Schweine auf den Straßen, die Unperfektion, das Unmaterielle. In so westlich geprägten Städten geht also plötzlich die gegenseitige Aufmerksamkeit der Leute, die mir so oft auf die Nerven gegangen ist, verloren und ich merke, wie wertvoll es letztlich ist, dass eine solche Neugier an Fremden besteht, dass man diese ausfragt, anstarrt und einlädt.

So war meine erste Couchsurfing-Erfahrung, sehr positiv und ich glaube, es ist ein tolles Projekt, das hilft, eine neue Umgebung viel tiefer und leichter kennen zu lernen. Unsere Gastgeber konnten uns die interessanten Ecken Dubais zeigen, kannten sich sehr gut aus und bieten Reisenden ihre Couchs an, weil sie selbst Spaß daran haben und davon profitieren.

Irak – Syrien – Türkei – Bulgarien – Serbien – Ungarn – Österreich – FRANKFURT!

Nach diesem kurzen, kuriosen Zwischenpuffer in Dubai, bin ich voller Vorfreude und deutlich gelassener als am Vortag in den 8-stündigen Flug nach Frankfurt gestiegen und ab diesem Moment hieß es nur noch Minuten zählen. Die Ungeduld wuchs und wuchs mit jeder Meile, mit jeder Szene der Hindi-Movies, die ich mir zum Schluss noch gönnte, da ich ja eh nichts anderes zu tun hatte, mit jedem Gebirgszug, den wir überflogen.

Ich denke, ich habe mich wohl noch nie so auf ein Wiedersehen gefreut, noch nie so ungeduldig meiner Familie entgegengefiebert – auch eine ganz neue Erfahrung.

Das komischste am Flug nach Hause war wohl das unabsichtliche Mithören von Gesprächen auf Deutsch, was sich unglaublich sonderbar anhörte, da ich ja ein Jahr lang nur ausgewählte Deutsch-Stimmen gehört hatte und mir vorher nicht bewusst war, dass in der Maschine nach Frankfurt wohl auch viele andere Deutsche sitzen müssten. Komisches Gefühl, seine eigene Sprache wieder von allen Seiten zu hören – verrückt, Nichtigkeiten und Akzente mitzuhören und sich dennoch zu wundern, warum die jetzt plötzlich alle meine Sprache sprechen. Nie hat uns jemand verstanden, wenn Cara und ich auf Deutsch miteinander geredet hatte, nie ergab es einen Sinn, mir beim Telefonieren zuzuhören – und jetzt, da bin ich plötzlich wieder wie jeder andere auch…

Der „Kulturschock“ kam in Form eines Waschbeckens

Ja, der Kulturschock. So viele fragen mich nun danach; wollen wissen, ob ich „denn den Kulturschock gut überstanden“ hätte.

„Ein Kulturwechsel stellt immer eine Herausforderung dar, bei der man nicht nur mit einer fremden Kultur, sondern vor allem mit sich selbst konfrontiert wird. Allgemein bezeichnet der Begriff Kulturschock (Oberg, 1960; Wagner, 1996) die Schwierigkeiten, die mit der Anpassung an eine neue kulturelle Umwelt verbunden sind.“ [http://www.zsb.uni-wuppertal.de/beratung/interkulturelle-beratung/kulturschock.html]

Kulturschock scheint eines der Wörter zu sein, unter denen jeder etwas anderes versteht und die sich nie exakt einschränken lassen.

In Indien angekommen war natürlich vieles anders, einiges erschreckend, aufwühlend, zum Nachdenken anregend, aber dennoch habe ich mich viel schneller als erwartet an das meiste davon gewöhnt.

Heute Morgen habe ich zum Beispiel in der 7. Klasse meiner Mutter an meiner ehemaligen Schule eine Präsentation über Indien mit ein paar von meinen Bildern gehalten und dabei vielleicht zum ersten Mal deutlich gemerkt, wie auf Bilder von extrem überfüllten Mumbai-Zügen, Sikh-Gläubigen, die sich ihr Leben lang nicht einmal die Haare schneiden und dem Swastika (Glückssymbol des Hinduismus, „Hakenkreuz“) reagiert wird.

In Deutschland, also daheim, anzukommen, war jedoch etwas ganz anders. Es war toll! Es fühlte sich gut an, Holzboden unter den Füßen knarren zu hören und es war wunderbar, die vertrauten Gerüche wahrzunehmen, Lieblingsspeisen wieder schmecken zu können, mein Zimmer wieder zu sehen, nicht mehr konstant aufpassen zu müssen.

Außerdem war es natürlich genial, meine ein Jahr lang vermissten Eltern und Brüder wieder in die Arme schließen zu können – die sich teilweise wirklich um einiges verändert haben – und alle meine Freunde nach und nach wiederzusehen. Trotz der vielen Entwicklungen und Veränderungen eines Jahres bin ich dennoch froh, wieder so toll zurück aufgenommen worden zu sein. Tief drinnen bleibt ja dann doch jeder noch derselbe.

Wenn es allerdings einen Kulturschock gab, dann kam er in Form unseres Waschbeckens im Badezimmer. Ich kam an und wollte mir abends die Zähne putzen und konnte nur noch mit offenem Mund auf dieses riesige Waschbecken starren. Mein Waschbecken – und alle anderen Waschbecken, die ich in dem Jahr gesehen hatte – waren deutlich kleiner und die gefühlte Überdimension unseres Waschbeckens hier brachte mich wirklich aus dem Konzept. Mittlerweile, 3 Wochen später, ist es schon längst wieder auf seine „normale Größe“ geschrumpft und über meine unerwartete Reaktion wurde sich sehr amüsiert, aber vielleicht zeigt genau dies, dass einige Dinge nach einem Jahr plötzlich ganz anders erscheinen und man mit einem komplett neuen Blick auf Alltägliches blickt.

Und jetzt?

Obwohl ich ursprünglich eigentlich vorhatte, erst einmal in Ruhe anzukommen, alle wiederzusehen und dann zu entscheiden, in welche Richtung mein Leben nun weitergehen soll, hat sich nun alles doch schon viel schneller als erwünscht verändert.

Am Montag werde ich in Bonn ein halbjähriges Praktikum bei der Andheri-Hilfe beginnen, einer Nichtregierungsorganisation, die mithilfe von Projekten die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in Indien und Bangladesh fördert.

Darauf bin ich schon sehr gespannt, weil es an meine prägenden Indien-Erfahrungen anknüpfen wird und ich garantiert einiges davon mitnehmen kann. So erhoffe ich mir, Indien von einer neuen Perspektive aus erblicken zu können und andere an meinen Erlebnissen und Eindrücken teilhaben lassen kann. So blick ich guten Gewissens nach vorne und werde mal sehen, was die Zeit so bringt.

 

Und ein riesengroßes Danke von Deutschland aus nun geht noch an meine treuen und so wichtigen Sponsoren, für die ich mir auch noch was Besonderes überlegen muss, die ich nun aber einfach mal alle nenne:

  • Oma|Opa
  • Omi|Opi
  • Falk und Martina Zinke
  • Fabienne Frensch
  • Birthe, Malte, Udo und Doris Israel
  • Helen Becker
  • Doris Mosbach
  • Hannelore und Adalbert Binder
  • Anne und Dietmar
  • Dirk Hölscher
  • Hans Ludwig Honig
  • Karin und Jörg Kranz
  • Baldur Gerschütz
  • Volkmar und Tanja Kamp
  • Klaus-Peter Flosbach
  • Weltladen Regenbogen e.V.
  • Residenz-Buchhandlung Weilburg