Hast du in deinem Kopf auch das Bild eines krisengerüttelten Landes, das Anschlagsgefährdet und nicht für Touristen geeignet ist? Genau aus diesem Gedanken heraus habe ich es beim ersten Anlauf nicht nach Tunesien geschafft, bin jetzt jedoch umso froher, dass ich dieses Bild auf meiner aktuellen Reise durch Tunesien überdenken konnte.
Tunesien hat nämlich so viel mehr zu bieten als nur die Erfahrung, in einem Hoffnungsträgerland des Arabischen Frühlings zu reisen. Jede Stadt lebt für sich selbst, hat Neues zu bieten und verzaubert durch ihren ganz eigenen Charme.
Derzeit befinde ich mich auf Reise durch die Sahel-Zone Tunesiens, also die Küstenlinie. Sahel bedeutet nämlich nichts anderes als Küste, sodass auch die bekanntere Sahel-Zone einfach Küste der Sahara bedeutet. Von Tunis aus gen Süden erkunde ich also die Städte Kairouan, El-Jem, Mahdia, Sousse, Monastir, Hammamet und das Cap Bon. Jede einzelne ist enorm durch den Rückgang des Tourismus beeinflusst, der Resultat der Revolution im Arabischen Frühling und der zwei in den europäischen Medien präsenten Anschlägen im Bardo-Museum in Tunis und am Strand von Sousse ist. Die Spuren sind omnipräsent und obwohl seit dem letzten Jahr der Tourismus um 1,6% angestiegen ist gingen die Einnahmen um 8.4% zurück, sodass nicht einmal der Anstieg eine wirklich positive Auswirkung besitzt.
Deutlich wird jedoch schnell, dass Tunesien in den letzten Hundert Jahren zu einem Land des Massentourismus gewachsen ist und eine dementsprechend gut ausgebaute Infrastruktur mit viersprachigen Schildern, europäischen Menüs und Hotelkomplexen zu bieten hat. Doch nicht in jede Stadt ist diese Anpassung vorgedrungen und Perlen wie El-Jem oder Kairouan scheinen gerade wegen ihrer Tradtitionalität hervor. Aber immer Schuwiya-Schuwiya – eins nach dem anderen.
Nachdem ich bereits zwei Monate in Tunesien lebte ohne auch nur einen Fuß in eine andere Stadt als das an Algerien angrenzende Tabarka gesetzt zu haben, war es allerhöchste Zeit, die letzten Tage im Land zu nutzen. Für sechs Tage machte ich mich also auf in den Mittelteil dieses kleinen, aber wirklich besonderen Landes.
Kairouan – Die Traditionelle
Zu Beginn der Reise führte mich das 9-Sitze-Langstreckentaxi, das hier Louage genannt wird, nach Kairouan, eine ehemalige Kamel- und Handelsstadt. Diese liegt in Herzen Tunesiens und verführt durch eine einzigartig ungestörte und unbeeinflusste Medina mit einer riesigen Moschee und Häusern wie man sie aus Star Wars kennt. Niedrig und selten höher als zwei Stockwerke sind diese mit Lehm verputzt oder geweißelt. Durch die kleinen, oft halbrunden Eingänge mit kuppelartigen Dächern, kann man einen Einblick in Tischlereibetriebe, Schlüsselmacher oder Webstühle erhalten. Viele Klein- und Kunstgewerbe scheint es hier zu geben und nicht zuletzt wegen seiner einzigartigen Berberteppiche ist Kairouan von weit her bekannt.
Sousse – Die Belebte
Vom Kurztrip nach Kairouan ging es weiter nach Sousse, die drittgrößte Stadt Tunesiens, die am Meer gelegen einen perfekten Ausgangspunkt für Reisen in die Umgebung bietet. Von Sousse hatte ich schon viel gehört und nicht zuletzt meine ehemalige Mitbewohnerin Asma hatte mir von dieser tollen Stadt vorgeschwärmt. Mithilfe des vor-Revolutionären Reiseführers fanden wir ein kleines Hotel am Rande der Medina und lernten die Meeresbrise des Oktobers zu schätzen, die hier an der südlichen Mittelmeerküste gar nicht so ohne ist. Sousse wirkt jedoch auf Anhieb wie ein ziemlich schräger Mix aus Tradition wie in der Medina und Modernität wie in Clubs am Strand. Viele Welten treffen hier aufeinander und ergeben eine Stadt, in der es unglaublich viel zu erleben und viel zum Staunen gibt. Das Restaurant Dell’Arte grenzt zum Beispiel direkt an die Kunsthochschule an und könnte in einer deutschen Großstadt exakt so zu finden sein, wenn nicht die arabischen Kaligraphien in einem tollen Gemälde die Wand schmücken würden. Auch die Kunststudentinnen, die morgens die Croissanterie aufsuchen bilden mit ihren Mappen und Zeichnungen unter dem Arm einen krassen Gegensatz zu uns Europäern, die wir gerade mit einem kleinen Rucksack durchs Land pilgern.
Von Sousse kann man tolle Tagesausflüge nach El-Jem, Mahdia und Monastir machen, jedes eine Stadt, die in sich geschlossen ein anderes Bild vermittelt.
El-Jem – Die Überraschende
El-Jem bietet einen schrägen Kontrast aus kompletter Interesselosigkeit aus Touristensicht, aber einem der größten Kolossen des gesamten alten Römischen Reiches. Auf keinen Fall sollte man diesen Ausflug verpassen, da man bis auf die 30 Meter hohen Ränge hinaussteigen kann, von denen nur noch in skurriler Zeitlosigkeit die Rundbögen unter den einstigen Sitzen der Tribüne überdauern. Diese wirken jedoch wie stürzende Städte in Inception und bieten in der Oktobersonne einen imposanten Eindruck. Auch der Blick auf die kleine Stadt ist beeindruckend von hier oben, genauso wie die Vorstellung, dass hier einst 30.000 Menschen, also deutlich mehr als die heutige wie damalige Bevölkerung um das Blutvergießen von Menschen und Tieren jubelten. Auch die Romanische Villa ist genial und eindrucksvoll. Komplett unerwartet findet sich hier eine beispiellose Mosaiksammlung, die zweitausend Jahre fast einwandfrei überdauert haben. Wunderschön sind die mit Rosmarin und Lavendel gesäumten Säulen und Statuen, die einen kleinen Einblick in das damalige prunkvolle Leben der vermutlich höheren Romanischen Bevölkerungsschicht bieten.
Mahdia – Die Schöne
Mahdia bietet als Küstenstadt einen deutlichen Kontrast zum trockenen Klima von El-Jem. Ähnlich ist jedoch Ende Oktober die Windstärke, die mit 35 Stundenkilometer nicht gerade zaghaft ist. Die schöne Altstadt liegt auf einer Halbinsel, die in kleinen Gassen in einem Ribat, einer Art Festung, endet und in einen großen Friedhof ausläuft. Hier ist der sturmblaue Himmel hinter gleißend weißen Zaouias (Mausoleen) unglaublich beeindruckend. Die Stimmung reißt mit und bringt Sturm ins Herz, man kann sich kaum mehr lösen von den sekündlich veränderten Panoramas, die Wellenbruch, alte Ruinen und weiße Grabsteine vereinen. Vor schwarzgrauem Himmel sollte man sich hier jedoch hüten und besser fliehen, bevor der Wolkenbruch kommt und in Platzregen die Trockenheit des Tages mit sich nimmt.
Monastir – Die Beeindruckende
Monastir wiederum ist ziemlich touristisch und wirkt mit seinen langen Touristenstraßen und seiner Vielzahl an mehrsprachigen Cafés etwas trostlos ohne die Abnehmer dessen. Auch stellt sich die Frage, wie die unglaubliche Vielzahl an Hotelketten wohl finanziert werden kann, die nun anscheinend seit einiger Zeit bereits ziemlich leer stehen. Die Männercafés sind tatsächlich auch zu jeder Tageszeit gefüllt, sodass auch hier der Gedanke aufkommt, dass diese keinem täglichen Beruf nachgehen. Schade ist es um diese schöne Kleinstadt, die schöne Strandspaziergänge, eine kleine Insel, kräftige Wellen und schöne Cafés zu bieten hat. Obwohl mir auf der Zugreise hierher davon abgeraten wurde, weil es angeblich nichts zu sehen gäbe, ist es wirklich eine Reise wert!
Das Mausoleum vom ehemaligen Präsidenten Habib Bougiba beeindruckt durch seine schönen typisch grünen und weißen Kuppeln und den aufwendig verzierten Innenraum, dessen Herzen der Sarkophag bildet. Viel bewirkte der hier ablebende Präsident in seinem Land und setze sich nicht zuletzt stark für einen deutlich moderneren Islam und Frauenrechte ein, bevor er in einer friedlichen Regierungsübernahme von Ben Ali abgesetzt und für Regierungsuntauglich befunden wurde.
Sousse in einem knappen Tag zu besichtigen ist wohl fast unmöglich, doch auch der kleine Einblick, den ich erhalten durfte, hat mich doch von der Einzigartigkeit der Stadt überzeugt. Im kleinen Privatmuseum Dar Essaid erlebte ich jedenfalls eine riesige Überraschung. Aus der vielen Auswahl eher durch Zufall rausgepickt, erwies es sich als eine Schatzkammer aus Einrichtungsgegenständen, alten Kleidungen und Nachbau von vor 100 Jahren. Ein Offizier lebte hier mit seiner Familie in dem beeindruckend großen Haus mit seinen Himmelbetten, Parfümsammlung, Öllampen und dem eigenen Turm, von dem aus man die gesamte Altstadt überblicken kann. Genial! Vor allem nach langem Herumirren durch die Medina war es eine gelungene Überraschung und eine Besichtigung, die viel Vorstellungskraft geweckt hat.
Hammamet – Die Beliebte
Von Sousse ging es hoch an der Küste entlang in den Ferienort Hammamet, in dem sich die Masse der Hotels und Tourismusveranstaltungen ballt. Gerade nach der abenteuerlichen Küste mit Wolkenmeer von Mehdia and Monastir fand ich hier eisblauen Himmel und langgezogenen, goldgelben Strand. Gemeinsam mit Freunden aller Nationalitäten, die ich in den letzten Monaten in Tunis kennen gelernt habe, verbrachten wir hier einen genialen Strandtag mit Hafenbesuch, Wellenschauen, Restaurant am Strand und einer kleinen Stadtbesichtigung. Das Youth Hostel eignete sich auch ideal für den kurzen Aufenthalt, da es direkt am Strand und Nähe am Zentrum gelegen die perfekte Basis zum Rumkommen bot, ohne im Tourismusherzen zu liegen. Der Strand von Hammamet ist tatsächlich wunderschön und traumhaft, wenn nicht sogar der Schönste, der mir auf der gesamten Reise begegnet ist. So hat sich auch das weitere Erkunden der Küstenlinie gelohnt und weiter geht’s aufs Cap Bon.
Cap Bon – Das Highlight
Davon hatte ich schon so einiges gehört und schon einmal vergeblich versucht, einen Ausflug zu unternehmen. Das Cap südöstlich von Tunis ist mit öffentlichen Verkehrsmittel gar nicht so einfach zu erreichen. Hier fahren nur die Louages, die Kleintaxis, und Busse, um die kleinen Städte zu verbinden. So fuhren wir von Hammamet ins nahe gelegene Nabeul zum Frühstück und von da bald weiter nach Kelibia, das für seine traumhaften Strände bekannt ist. Am von Steinen gesäumten Strandstreifen lag wir in der kräftigen Oktobersonne, kamen endlich ein wenig zur Ruhe nach dem vielen Reisen und genossen das Rauschen der Wellen. So unfassbar schön war dieser Tag, dass das Meer glitzerte und kaum von der Kamera einzufangen war. Vergeblich versuchte ich also, den Moment festzuhalten und für spätere dunkle Stunden aufzubewahren.
Von Kelibia führte uns ein Kleinbus weiter bis ans letzte Ende des Caps: El Haouira. Ich hatte gelesen, es müsse sich wie das Ende der Welt anfühlen, doch was mich dort erwartete, hätte ich nicht einmal zu träumen gewagt. Dort um 4 angekommen erfuhren wir schnell, dass die letzte Möglichkeit, nach Tunis zurückzufahren, bereits vor einer Stunde abgefahren war. Etwas verzweifelt mussten wir also einsehen, dass unser zugegebenermaßen etwas spontaner Plan leider zu scheitern drohte. Plötzlich waren wir es so leid, immer weiterzuziehen und von den fünf Tagen Dauernomadenleben ziemlich geschafft und wollten uns schnell auf den Weg zurück in die Hauptstadt machen. In einem hochmotivierten Abenteuertrip ließen wir uns mit dem Taxi an die Küste bringen, uns vom Taxifahrer des Vertrauens seine Handynummer geben, um vom Ende der Welt auch wieder wegzukommen, und machten eine kleine Spritztour durch die beeindruckende Landschaft. Denn das war sie tatsächlich! Ein klares Highlight der gesamten Reise, wenn auch zeitlich unterrepräsentiert. Die Stimmung dieser Wolkenmeere, eisblauen Wellen und ockergetränkten Felszügen waren wirklich unglaublich beeindruckend. Faszinierend, diese Stimmung. Man fährt und fährt und fährt, ist den gesamten Tag nur unterwegs und endet plötzlich am Ende des Weges, in einer Sackgasse, die so viel Schönes biete. Wahnsinn! Mein ultimativer Tipp von Tunesien: Elhaouira, das Ende der Welt, soweit wir sie kennen.
So endete die fünf-Tages-Reise ganz unerwartet so perfekt wie möglich. Mit gefühlt dem letzten Taxi, dem letzten Bus, den letzten Dinar ging es bald zurück nach Tunis, wo statt gemäßigter Hauptstadtstimmung die Taxifahrer streikten und die ganze Stadt lahmlegten. Doch auch das konnte mir an dem Tag nicht mehr viel abhaben. Augen zu, Musik an und durch – oder eher heim, in diesem Falle.